PARKS & DESERTS
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PARKS & DESERTS
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Essay zur Einzelausstellung /
essay for Solo Exhibition
kjubh Kunstverein Köln / Cologne
21.10.2023 - 18.11.2023
Eingeladen von / Invited by
Doris Frohnapfel.
Es ist in meinem Leben wie in Henry James` Novelle „The Figure in the Carpet“ (1859): Im ornamentalen Gewebe von Spiegelungen und Abweichungen, sind Anfang und Ende, Haupt- und Nebensache ununterscheidbar. Handfest allein ist die Materie, die Beschaffenheit und Herkunft meines Lebens und Arbeitens. Gaston Bachelard schrieb zur Bedeutung von Materie: „Unsere Heimat ist nicht so sehr ein Gebiet als eine Materie; sie ist ein Stein oder eine Erde; eine Trockenheit oder ein Licht“.
Für diese Ausstellung überschreibe ich meine Bilder mit zwei augenscheinlich gegensätzlichen Räumen: dem Park und der Wüste. Der domestizierte und eingezäunte Raum auf der einen Seite und der wilde und brachliegende Raum auf der anderen. Wie die menschliche Psyche enthält ein gelungenes Kunstwerk beides: prächtige Fülle und erwartungsvolle Leere. „Parks & Deserts“ zitiert zudem das lyrische Debüt der niederländischen Dichterin M. Vasalis, meiner langjährigen Begleiterin. Sie wurde als Margaretha (Kiek) Leenmans 1909 in Den Haag geboren und starb 1998 in Roden. Ihre Gedichte haben für mich eine bemerkenswerte Direktheit. Mit wenigen Worte öffnen sie Pforten zu räumlich wie zeitlich disparaten „Gegenden“. Vasalis‘ Sprachkunst führt mich augenblicklich zurück in meine eigene Kindheit auf den niederländischen Inseln (Wüste) und in die liebliche Provinzstadt Hilversum (Park). Wie durch ein offenes Fenster lassen ihre Gedichte das Meer, die Bäume und Tiere (Schmetterlinge) erfahrbar werden und nachspüren, wie wir unteilbar mit diesen Elementen verbunden sind, ja, wie wir selbst in dieser Parallelwelt aufgehen und uns auflösen werden. Es ist nur konsequent, dass diese unmittelbare Hinwendung zum Natürlichen auch Vasalis‘ Haltung gegenüber „Stimmen“ aus der Vergangenheit gilt. Statt in einem für die Zeit geläufigen Fortschrittsdenken, sieht sie sich selbst in einem Kontinuum mit historischen VorgängerInnen: “Die Nostalgie, die ich entgegen besseren Wissens in mir habe, gilt der Zeit, vor allem dem Raum, der Natur und dem Glauben an all die Ideologien, die entstanden sind, aber noch nicht bis zum bitteren Ende erprobt wurden. Briefe und Texte handelten häufig von der Seele, es wurde auf die Seele gehorcht, sie sprach nämlich und es schien so, als wäre sie zu hören.“ (Übersetzung MJ)
Meine Nostalgie konzentriert sich vor erst auf die unschuldigen Naturerfahrungen vor dem Klimawandel. Und vielleicht erklärt sich meine Beschäftigung mit KünstlerInnen vor 1940, wie Walter Benjamin, Piet Mondrian, Virginia Woolf oder Giambattista Vico auch damit, dass sich ihre Stimmen noch unangetastet wie der „Anblick des Mondes“ lesen lassen. Der Akt des Lesens ist für mich als Literaturwissenschaftlerin die selbstverständliche Methode, mich mit Fragen der Autorenschaft, dem Werkbegriff und der Kulturgeschichte auseinanderzusetzen. Mehr als durch die Anschauung von Bildern wird meine Einbildungskraft durch Lesen angeregt. Sie beinhaltet für mich „die wahre Methode“, wie Walter Benjamin schreibt, „die Dinge sich gegenwärtig zu machen, (...) sie in unserem Raum (nicht uns in ihrem) vorzustellen. (...) Nicht wir versetzen uns in sie, sie treten in unser Leben.“
Eine der eindringlichsten Beschreibungen den fatalen ökologischen Veränderungen der vergangenen 30 Jahre – die im übrigen stark an Symptomen einer Solastalgie erinnern - las ich in „Wo bin ich?“ von dem im letzten Jahr verstorbenen französischen Soziologen und Philosophen Bruno Latour: „Wahrhaftig, nur noch der Anblick des Monds kann seine (Latours Protagonist) Sorgen dämpfen: Zumindest für seine Umlaufbahn, für seine Phasen fühlt er sich in keiner Weise verantwortlich; das ist das letzte Schauspiel, das ihm geblieben ist. Wenn sein Glanz sich derart bewegt, dann deswegen, weil du weißt, dass du an seiner Bahn unschuldig bist. Wie du es früher warst, wenn du dir Felder, Seen, Bäume, Flüsse und Berge angeschaut hast, Landschaften, ohne an die Auswirkungen zu denken, die noch dein geringstes Tun und Lassen auf sie hat. Früher. Es ist noch gar nicht so lange her.“
Die Wüste ist zum Park und der Park zur Wüste geworden. Wenn ich mich gegenwärtig mit Prozessen wie Leben und Tod, Anfang und Ende in meinen Arbeiten auseinandersetze, tue ich das mit der Gewissheit, dass ich zur Generation von KünstlerInnen gehöre, deren Lebenszeit zusammenfällt mit der Dritten Industriellen Revolution. Wir sind eine Generation, für die die Grenzen zwischen Natur und Kultur nicht mehr zu ziehen sind, gleichzeitig erinnern wir uns aber an eine Zeit worin diese Dichotomie nicht hinterfragt würde; eine Generation, die sich dessen bewusst ist, dass an jedem Tag limitierte Ressourcen verbraucht werden. Dass, kurz gesagt, das Fortschrittsdenken der Moderne, sowie die Gleichgültigkeit der Postmoderne uns in eine Sackgasse geführt haben.
Was diese Neubewertung der Moderne für meine Malerei bedeutet, möchte ich zum Schluss anhand einiger Anmerkungen über Mondrians „Neo-plasticisme: De Woning - De Straat - De Stad“ verdeutlichen. Sein Aufsatz der 1927 in i10 erschien, basiert auf den typischen Gegensätzen der eurozentristischen Moderne und gibt futuristisches Gedankengut preis. Selbstbewusst beschreibt Mondrian sein Ideal einer neoplastischen Malerei und Architektur als eine Fortschrittsgeschichte von der Urzeit bis zu einem urbanen Leben, in dem die Grenzen zwischen Wohnung und Stadt aufgehoben sind. Auf der Seite der Natur positioniert Mondrian die Dunkelheit, mangelnde Hygiene, das Volk, rohe und rustikale Materie, die Vergangenheit, das Leben, natürliche Farben und schließlich die launische, naturalistische und schräge Linie. Auf die Seite der neoplastischen Kunst dagegen das Individuum, das Geistige, die hygienisch glatte und glänzende Oberfläche, die Gegenwart, das Universelle, androgyne Mode und schließlich die stehende Form sowie die gerade Linie. Wie die Futuristen war Mondrian davon überzeugt, dass das Leben auf Evolution ausgerichtet ist. Voraussetzung dafür war Destruktion und Denaturalisierung. Der Baum, den Mondrian zu Abstraktion führte, wurde durch Straßen ersetzt. Geometrische Formen traten an die Stelle von Heuhaufen, Molen und mit Blumen gefüllte Vasen - hybride „Formen“, in denen sich Natur und Kultur berühren.
Das Interessanteste an Mondrians Text „De Woning – De Straat – De Stad“ ist für mich, dass er die Natur aus seinen Bildern verdrängen musste, um dann sein Verlangen nach einer neoplastischen Welt, im (niederländischen) Interieur verorten zu können. Sein Diskurs nimmt seinen Anfang in der „dunklen und tragischen“ Wohnstätte, in der der Mensch von Angst heimgesucht wird. Diese wie eine Wüste dargestellte Wohnung soll sich in ein „modernes Paradies“ verwandeln. Es ist die Bewegung von innen nach außen, von der dunkele Wohnung in die helle zukünftige Stadt. Mondrian war der Sohn eines Schuldirektors in Winterswijk. Sein Onkel war Künstler und Mondrians künstlerisches Talent wurde schon früh von seinem Vater und Onkel gefördert. Dass er trotzdem seine künstlerischen Visionen anhand des Zuhauses beschreibt, deute ich als typisch für die niederländische Malerei, wie etwa von Svetlana Alpers und Hans Belting beschrieben. Das niederländische Stillleben, die Porträts von Jan van Eyck, die Interieur-Szenen von Johannes Vermeer haben ihren Ort in der Wohnung.
Ich teile diese Verortung. Auch ich denke über meine Bilder im Verhältnis zum häuslichen Raum nach, einem Raum, der sich ebenso wie die Natur durch neue Technologien und den Klimawandel wesentlich verändert hat. In meinen Bildern „Daghwerck I“ und „Daghwerck II“, setze ich mich mit diesen gesellschaftlichen Entwicklungen und kunstgeschichtlichen Ursprüngen auseinander. Ich imitiere ökologische Prozesse wie Kompostierung und Recycling, indem ich Elemente eines dunkelbraunen Sessels aus Eichenholz, der meinem friesischen Urgroßvater Auke Jongbloed gehörte, als Kompositionselemente nutze. Ich habe die Umrisse des Sessels auf braunem Packpapier 1:1 nachgezogen und die Verzierungen nachgemalt. Diese Bildelemente konstruieren einen Raum, dem mehrere Material- und Zeitschichten sowie Ursprungserzählungen anzugehören scheinen. Ich versuche so, mir Zugang zu einer verloren Welt vor dem Klimawandel zu verschaffen, die ich genetisch weiterführe. Es sind, mit anderen Worten, die Historizität der Natur – meiner Vergänglichkeit – und die Natur der Geschichte – Abfolge der Generationen –, die ich im Interieur verorte.
Aber diese Melancholie sollte nicht mit einer reaktionären, rückwärtsgewandten Haltung verwechselt werden! Statt historischen Genres wie dem Landschafts- oder Interieurbild nachzutrauern, versuche ich Bilder zu schaffen, die zwischen diesen traditionellen Genres vermitteln, um so den Überschneidungen (entanglement) nachzuspüren – das Haus als Park und Wüste vor Augen zu führen. Bruno Latour hat das „Haus“ als Ort unserer Erzeugungen beschrieben, den wir Menschen mit Millionen anderen Wesen teilen. Die westliche Erzählung von der Kernfamilie im Eigenheim ist nahezu beendet. Land- und Hausbesitz haben wie jede andere Form von Eigentum unter dem Druck von Bevölkerungszuwachs und Klimawandel im Anthropozän ihre Selbstverständlichkeit verloren. Aber wir machen weiter; das Leben geht weiter. Als Bruno Latour am Ende einer Fernsehproduktion gefragt wurde, was er sich für die Zukunft wünsche, erwähnte er seinen Enkelsohn. Das Zuhause – der Ort, wo sich Gleichgesinnte oder genetisch Verwandte treffen – wird weiterhin ein von uns geliebter und geschmückter Raum sein, in dem Rituale mit natürlichen und kulturellen Elementen verschmelzen. Deshalb sind meine Bilder keine anti-kompensatorischen Trauerbilder, sondern wollen die „blühende Allmaterie des Haushalts“, worin geboren und gestorben, geliebt und gestritten, geputzt, gegessen und verdaut wird feiern.
Marjorie Jongbloed
Köln, im Oktober 2023